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Inklusion: Jetzt geht es Schlag auf Schlag
Inklusion: Jetzt geht es Schlag auf Schlag Bild: Special Olympics Dtld./Sascha Klahn,
08.06.2021 / Interview

Inklusion im Spiel

In Deutschland leben dem Deutschlandfunk zufolge etwa 320.000 Personen mit geistigen Einschränkungen. Nur etwa acht Prozent von ihnen trainieren regelmäßig in einer Sportart. Viel zu wenig.

Autor:in: Imke Ulrich
Lesedauer 6 MIN
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In Deutschland leben dem Deutschlandfunk zufolge etwa 320.000 Personen mit geistigen Einschränkungen. Nur etwa acht Prozent von ihnen trainieren regelmäßig in einer Sportart. Viel zu wenig.

Dafür, dass sich noch mehr Sportvereine für diesen Personenkreis öffnen, setzt sich Special Olympics Deutschland (SOD) ein. Wie und warum das Thema „Sport und Inklusion“ in Deutschland noch mehr Fahrt aufnehmen soll, hat uns SOD-Marketing- und Kommunikationsdirektor Jan Neubert verraten – pandemiebedingt im Berliner Hauptbahnhof, mit Abstand und Maske.

VcG: Herr Neubert, Menschen mit einer geistigen Behinderung sind, so die Behindertenbewegung, hierzulande nach wie vor die am meisten von sozialer Ausgrenzung bedrohten Bürger. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Jan Neubert: Dank der 2006 verabschiedeten UN-Behindertenrechtskonvention ist das Recht auf Inklusion und die gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen als Menschenrecht formuliert. Das hat zwar einiges in Bewegung gebracht, das Bewusstsein, dass Inklusion wichtig ist, ist da, doch immer noch sind die Berührungsängste groß. Hier setzen wir an: Special Olympics setzt sich als weltweit größte Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung ein. Wir verfolgen konkrete Strategien, Projekte und Maßnahmen auf allen Ebenen, um die UN-Behindertenrechtskonvention erfolgreich umzusetzen. Inklusion ist ein Prozess, der uns noch lange beschäftigen wird und noch vieler Anstöße bedarf!

VcG: Wo liegen die Probleme? 

Jan Neubert: Menschen mit geistigen Behinderungen sollen dieselben Möglichkeiten haben, in der Gesellschaft zu leben wie alle anderen auch, finden aber immer noch wenig im Alltag statt. Sie leben in ihren Einrichtungen und Werkstätten. Das sind oft in sich abgeschlossene Welten. Wichtig ist, dass Menschen mit Behinderungen sichtbarer werden, zum Beispiel beim Einkaufen, beim Arzt, in den Schulen. Das ist langsam der Fall, passiert aber nicht von allein! Die Gesellschaft guckt nicht mehr pikiert weg, muss aber noch offener werden. Noch ist es hierzulande leider keine Normalität, dass Menschen mit Behinderung zum Beispiel im Sportvereinsleben anzutreffen sind. Nach wie vor werden sie von Sport- und Freizeitangeboten ausgeschlossen, ihre Bedürfnisse werden zu wenig berücksichtigt, ihre Fähigkeiten unterschätzt oder ignoriert. 

Nahm eine Maske, aber kein Blatt vor den Mund: Jan Neubert (Foto: VcG)

Nahm eine Maske, aber kein Blatt vor den Mund: Jan Neubert (Foto: VcG)

        

VcG: Ihre Organisation setzt sich für die Inklusion von Menschen mit einem geistigen Handicap ein, und zwar im Sportbereich. Warum? 

Jan Neubert: Das Potenzial mit und durch Sport in puncto Inklusion viel zu bewegen, ist groß, denn zum einen ist das Training ideal, um Menschen mit und ohne Handicap zusammenzubringen und zum anderen tut die Bewegung nicht nur generell der Gesundheit gut, sondern stärkt auch die Körperwahrnehmung und -kontrolle sowie das Selbstbewusstsein. Das wappnet fürs Leben. 

Sport & Inklusion, das hat großes Potenzial!

VcG: Durften Menschen mit geistigen Einschränkungen denn zuvor keinen Sport treiben? 

Jan Neubert: Doch, aber bis in die 1990er-Jahre wurde ihnen in Deutschland nicht viel zugetraut, erst recht kein Wettkampf- und Vereinssport. Im Fokus unserer bundes- und weltweiten Aktionen steht es, Sportangebote für Menschen mit einem geistigen Handicap zu schaffen, und zwar nicht nur in den speziellen Einrichtungen. Wir möchten Sportler mit und ohne Behinderung zusammenbringen und dadurch Barrieren im alltäglichen Umgang abbauen. Sport ist das Mittel, um unsere Ziele, die Inklusion, Teilhabe und Selbstbestimmung, zu erreichen und die Lebenswelten von Menschen mit geistiger Behinderung zu verbessern. 

VcG: Wie funktioniert das?

Jan Neubert: Aktionstage, Veranstaltungen, Trainings – wir bauen Netzwerke auf, nutzen die Strukturen des organisierten Sports und bringen Menschen durch Sportangebote zusammen. Grundlage hierfür sind die Prinzipien und der Rückhalt von Special Olympics als internationaler Bewegung. So gibt es beispielsweise ein Golf-Regelwerk, das weltweit für Special Olympics gültig ist. Aktuell bieten wir unter Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit in 30 Einzel- und Mannschaftssportarten regelmäßig Trainings sowie Qualifikationsmöglichkeiten für regionale, nationale und internationale Veranstaltungen an. In Special Olympics Unified Teams treiben Athleten mit und ohne Beeinträchtigungen gemeinsam Sport auf Augenhöhe. JEDE Leistung wird wertgeschätzt. Zudem fördern wir, mit Hilfe der Unterstützung der „Aktion Mensch“-Stiftung, durch unser bundesweites Projekt „Wir gehören dazu“ Integration von Menschen mit einem geistigen Handicap als ordentliche Mitglieder in deutsche Sportvereine. Über 25 Sportvereine öffnen sich bereits inklusiv!

Die Inklusion nimmt Fahrt auf: Jan Neubert im Gespräch mit Imke Ulrich (Foto: VcG)

Die Inklusion nimmt Fahrt auf: Jan Neubert im Gespräch mit Imke Ulrich (Foto: VcG)
 

VcG: Welche Rolle spielt der Golfsport bei Ihren Bemühungen?

Jan Neubert: Golf ist für die Inklusion ideal, wie auch der Deutsche Golf Verband schon erkannt hat. Der Sport ist für Menschen mit geistigen Einschränkungen leicht erlernbar und kann dank des Handicap-Systems gemeinsam mit anderen nach einem speziellen Regelwerk ausgeübt werden. Noch spielt Golf bei Special Olympics in Deutschland mit 50 bis 100 Athleten bei den Wettbewerben im Vergleich zu populären Sportarten wie Fußball und Leichtathletik sowie zu Tischtennis und Boccia, die sich einfach in der Einrichtung umsetzen lassen, eine sehr kleine Rolle, hat aber großes Potenzial. Wir freuen uns, hier mit der VcG als Golf-Partner einiges zu bewegen! 

VcG: Von den bundesweit 3.500 Menschen mit einem körperlichen oder geistigen Handicap, die in einem Golfclub spielen, hört und liest man selten. Ist die Inklusion im Golfsport schwierig? 

Jan Neubert: Nein, sie steckt aber noch in den Anfängen! Beim Golf ist der Transport eine Herausforderung für uns: Die Plätze liegen in der Regel außerhalb der Stadt und sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln meistens nicht erreichbar! Inklusion ist für alle Sportvereine eine Chance, sich positiv zu positionieren, das Vereinsleben zu stärken und neue Mitglieder zu gewinnen – und sie ist viel einfacher als gedacht. Für alle Herausforderungen gibt es eine Lösung: Unser Ballsportbeauftragter, Bernhard Schütze, berät und begleitet Golfclubs, die inklusiver werden möchten. Zudem bieten wir Fortbildungen an, die mehr Sicherheit im Training mit Sportlern mit Handicap geben. Grundsätzlich brauchen Sie im Verein oder Club jemanden, der Lust hat, sich des Themas anzunehmen. Im Umgang mit Athletinnen und Athleten muss man vielleicht mehr erklären und mehr Geduld aufbringen, aber dafür ist das Feedback auch ehrlicher. Man erlebt die Freude und Dankbarkeit viel direkter! 

Schnelles Handeln ist jetzt wichtig!

VcG: Macht Corona jetzt alle Inklusionsbemühungen zunichte?

Jan Neubert: Zunichte nicht, aber die Pandemie hat uns um ein Jahr zurückgeworfen. In den Werkstätten und Einrichtungen waren die Einschränkungen noch stärker als für die Allgemeinheit, Angebote wurden zum Teil zurückgefahren oder gestrichen. Auch unsere Veranstaltungen waren kaum möglich. Viele Athletinnen und Athleten haben zugenommen. Die Bewegung und das soziale Miteinander fehlen ihnen. Die Menschen müssen wieder in Bewegung kommen. Jetzt ist schnelles Handeln wichtig!

VcG: Was wünschen Sie sich?

Jan Neubert: Ich wünsche mir, dass wir die Partnerschaft zu den Sportvereinen und Golfanlagen noch weiter ausbauen und die Inklusionsbemühungen verstetigen können! 2023 werden erstmals die Special-Olympic-Weltspiele hier in Berlin stattfinden. Ein echtes Highlight für unsere Athletinnen und Athleten und Coaches – und für die Inklusion! Die World Games werden ihr einen weiteren wichtigen Impuls und noch mehr Dynamik geben, auch medial! 

VcG: Vielen Dank für das Gespräch!                                                           

Zur Person:

Jan Neubert
Jahrgang 1984, Direktor Kommunikation und Marketing Special Olympics Deutschland, 
Kontakt: Tel. 030/246 252-16; 
Mail: jan.neubert@specialolympics.de
 

Ansprechpartner Golf bei Special Olympics Deutschland:
Bernhard Schütze
Ballsportarten und Sportprojekte
Kontakt: Tel. 030/246 252-42; 
Mail: bernhard.schuetze@specialolympics.de

Special Olympics Deutschland (SOD) mit Hauptsitz in Berlin ist seit 1991 die deutsche Organisation der weltweit größten, vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) offiziell anerkannten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Sie gehört zur 1968 gegründeten Organisation Special Olympics, die heute mit nahezu fünf Millionen Athleten in 170 Ländern vertreten ist. SOD verschafft als nicht-olympischer Spitzenverband im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) heute mehr als 40.000 Menschen mit geistiger Behinderung sportliche Angebote. Mit seinen 15 Landesverbänden organisiert SOD jährlich mehr als 300 Veranstaltungen und entsendet regelmäßig Delegationen zu den Special-Olympic-Weltspielen.

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