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Kaltgolfen
Golf spielen im Winter, das ist nichts für Warmduschende, sprich Weichlinge. Ich habe es ausprobiert.
Es ist Ende November, kalt, nass, grau, noch dazu ein Montagmorgen – eigentlich ideal für gemütliches Lesen, leckere Heißgetränke und Kekse, aber warum nicht auch für eine Runde Golf? Ich wage es und werde positiv überrascht.
Allein auf weiter Flur
Golfen im Winter hat tatsächlich einige Vorteile, das zeigt sich gleich zu Beginn: Der Parkplatz ist nämlich leer, ich finde für meinen alten Volvo ohne Probleme sofort ein schönes Plätzchen in vorderster Reihe, quasi in der Pole-Position direkt am Clubhaus. Meine Flightpartnerin wartet schon auf mich. Warm eingepackt, mit Mütze und Handschuhen bestückt zuckeln wir gemütlich zum ersten Abschlag. Vor uns der leere Platz, ein wenig nebelverhangen und geheimnisvoll, Märchenwaldatmosphäre, die Fairways nass. Herrlich, auch weil wir allein auf weiter Flur sind. Für uns Anfängerinnen ein idealer Zustand, fühlen wir uns doch durch nachfolgende Flights oftmals gehetzt und beobachtet. Jetzt können wir entspannt spielen, zum Teil auch einen zweiten Ball, wenn der Abschlag (mal wieder) nicht so gut war.
Ein bisschen Verlust ist immer
Fröhlich nutzen wir die ganze Breite des Fairways und wagen getreu dem Motto „No risk, no fun“ auch Schläge zwischen Bäumen hindurch und Ähnliches, was wir im Sommer, mit Nachfolgeflights im Nacken, niemals tun würden. Dass einige Bälle mehr nach links oder rechts fliegen, stört uns nicht. Wir nehmen es mit Humor, schließlich haben wir, wie meine Flightpartnerin lachend bemerkt, ja auch für die ganze Bahn bezahlt und halten keinen auf. Letzteres erweist sich zudem bei der Ballsuche als Vorteil. Aufgrund der jahreszeitlich bedingten kahlen Vegetation und der kurzen Roughs finden wir die vom rechten Weg abgekommenen Bälle gut wieder. Nur ab und an bleibt einer trotz ausgiebigen Suchens im Laub verschwunden. Nun denn, ein bisschen Verlust ist immer.
Wintergrüns willkommen
Das Golfen im November macht uns Spaß, auch wegen der Wintergrüns: Diese sind nicht nur deutlich kleiner als die Sommergrüns, sondern auch deutlich weiter vorne auf dem Fairways angelegt und dadurch für uns Anfängerinnen leichter zu erreichen. Dass dafür auch das Greenfee geringer als im Sommer ist, ist ein positiver Nebeneffekt.
Alles halb so wild
Ich freue mich über unsere Spuren – auf den nassen Fairways sind sie deutlich zu sehen. Dass der Boden patschig ist, merke ich auch an den Schlag für Schlag mehr eingedreckten Eisen – und an meinen Füßen. Meine Flightpartnerin war schlauer und hat ihre Schuhe gut imprägniert. Aber auch mit nassen Socken lässt es sich golfen. Unangenehmer sind die kalten Finger. Beim nächsten Mal muss ich unbedingt dickere Handschuhe mitnehmen. Doch alles halb so wild, denn das Golfen bringt Laune, es tut einfach gut, sich an der frischen Luft zu bewegen, die stressige Vorweihnachts- und Jahresendzeit in die Flucht zu schlagen und es hat etwas von Abenteuer. Ich mag diesen speziellen Wir-wagen-es-Touch.
Kalt- vs. Warmgolfende
Von Bahn zu Bahn fühle ich mich besser. Wir sind stark, weil wir uns bei diesem Wetter nicht im Haus verkriechen, tönt mein Selbstbewusstsein. Und ja, wir trotzen Wind und Wetter, werden nicht von der Sonne geblendet, nicht von der Hitze ausgedörrt, sind nicht verschwitzt und von Mücken umschwirrt wie die Warmgolfer:innen, stattdessen stärken wir unser Immunsystem und halten unsere Abwehrkräfte auf Trab. Die werden in der kalten Jahreszeit am besten durch maßvolle Bewegung an der frischen Luft trainiert. Zudem hilft Golfen nachweislich gegen den Winterblues: Durch den starken Anstieg des Dopamin- und des Serotonin-Spiegels erleben Golfende eine Art Glücksrausch, sagen Expert:innen. Ich merke es!
In der Ruhe liegt die Kraft
Eingedrecktes Equipment und klamme Kleidung regen mich nicht auf. Ich bin tiefenentspannt: Die Ruhe und die Einsamkeit auf dem Platz wirken sich positiv auf mich, auf mein Spiel aus. Es sind einige passable Schläge dabei – ich sollte wirklich öfter in dieser Jahreszeit an meiner Performance feilen, dann würde ich zur neuen Saison sicher besser in Schwung und vermutlich auch trotz Weihnachtsplätzchen und Leckereien besser in Form sein. Unschlagbar ist das wohlige Gefühl nach der Winterrunde: Die Heimkehr ins warme Zuhause, der heiße Kaffee danach … ich bin eindeutig eine Kaltgolfende! Und du?