
Keine Eile
… Laaaaaaaaangeweile! … Kino, Spieleabend mit Freunden, Restaurant- oder Barbesuch, Eskalationen bei Shoppingtouren, im Fitnessstudio oder beim Golfen, alles momentan passé – stattdessen seit Wochen Pandemie bedingter Stillstand. So langsam fällt mir die Decke auf den Kopf und ich hänge nicht nur trüben Gedanken nach, sondern auch lustlos auf dem Sofa rum. Mein Blick fällt auf einen Beitrag in der Tageszeitung, die Headline „Langeweile kann glücklich machen“ weckt mein Interesse und meine Skepsis gleichermaßen …
Stillstand als Chance
Die Zwangspause von dem Leben, wie es sonst war, kann dem Bericht zufolge frischen Wind in die grauen Zellen und neue Chancen bringen. So, so! Laut Wissenschaft verschafft Langeweile dem Gehirn neuen Freiraum und regt es zu neuen Ideen an. Wer seine Gedanken schweifen lasse und einfach mal Routinen durchbreche, aktiviere in seinem Gehirn vier Areale, die sonst nur selten zusammenarbeiten und das mache glücklich, so die Experten. Hm … also, ich habe eher das Gefühl, dass ein Großteil meiner grauen Zellen bereits vor Langeweile gestorben ist. Mir fällt rein gar nichts mehr ein. Alles, was geht, ist geputzt, sogar das Golf-Equipment, und alles, was geht, ist aufgeräumt, sogar die Schublade mit den Socken, alle Serien, die ich immer schon mal sehen wollte, sind jetzt geguckt, alle Bücher, die sich auf dem Nachttisch stapelten, sind gelesen, ausgeschlafen habe ich auch genug … und jetzt hänge ich seit Tagen durch, und zwar ohne Glücksgefühl. Offenbar bin ich den Umgang mit Langeweile einfach nicht gewohnt.
Zeit für die Selbstreflexion
Wo sonst in den wenigen freien Stunden nach Feierabend und am Wochenende unendliche Wahlmöglichkeiten für die Freizeitgestaltung zur Verfügung standen, was nicht selten sogar in Freizeitstress ausartete, ist laut Zeitungsbericht jetzt Innehalten und den Stillstand Aushalten angesagt. Es gibt ja einfach nichts zu erleben, nichts zum Konsumieren, nichts zum Angeben, nichts, um die Freizeit spannend und ereignisreich zu gestalten. Dieser Zustand sei ideal für die Selbstreflexion, so lese ich weiter. Puh, okay, ich versuch es, ich lege die Zeitung beiseite und werfe das Gedankenkarussell an. Tatsächlich lichtet sich der Trübsinn ein wenig. Wie heißt es doch so schön:
Mach dir den Feind zum Freund
Nun denn, gute Idee, wo ich ja eh gerade keine anderen Freunde sehen kann, werde ich mir also die Langeweile zur Freundin machen und tolle Dinge mit ihr erleben. Schon sitzen wir beiden auf dem Sofa und kichern wie kleine Mädchen. Als erstes erzähle ich ihr alle Sachen, die ich machen werde, wenn die Zwangspause vorbei ist. Ich verspreche ihr sogar, sie mit auf den Golfplatz zu nehmen, auch wenn beim Spiel kein Platz für sie sein wird. Dann schauen wir, was mit der Zwangspause anzufangen ist: Ich zeige ihr die tanzenden Sonnenpunkte auf dem Wohnzimmerboden und blättere mit ihr durch Fotoalben. Wir beschließen, barfuß durch den Garten zu laufen und danach einen Kuchen für die alte Nachbarin zu backen. Ich habe auf einmal tausend Ideen, was ich mit der Langeweile anstellen kann, und plötzlich merke ich: Es ist gar nicht so schlimm, eine Langeweile im Leben zu haben! Sie ist sogar recht sympathisch und stiftet zu neuen Ideen an. Ja, so lange sie nicht für immer bleibt, kann sie wohl tatsächlich glücklich machen.