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Golfclub Rhein-Main
Morgens um sieben stehen bereits etwa zwanzig Autos auf dem Parkplatz des Rheinblick Golfplatzes bei Wiesbaden. Grüppchen wettergegerbter älterer Herren streben gutgelaunt dem Abschlag beim GC Rhein-Main zu.
Ungewöhnliche Geschichte
Als den in Wiesbaden stationierten US-Streitkräften der Platz des Wiesbadener Golf Clubs zu eng wurde, bauten sie 1957 in nur neun Monaten auf dem ehemaligen Exerzierplatz "Auf dem Rheinblick" eine 18-Löcher-Anlage nach amerikanischem Standard, den Rheinblick Golf Course. Für deutsche Zivilisten zunächst "off limits" durften Golfwillige später nach intensiver Prüfung von Einladung, Anmeldung und Personalausweis aufs Gelände (und im Idealfall nach dem gleichen Prozedere auch wieder hinaus). 1977 gründete sich der Golfclub Rhein-Main und erhielt 1978 Gastrecht auf dem Platz. Es entwickelte sich eine intensive deutsch-amerikanische Golffreundschaft. Die frühere Regelung, dass der Platz für Gäste nur in Mitgliederbegleitung zu erforschen ist, wurde im Jubiläumsjahr weitgehend gelockert. In den vergangenen Jahren wurde viel Know-How und Geld in die stetige Verbesserung der Anlage gesteckt. Wenn man heute an den dichten Waldrändern mit ihrem die Augen erfreuenden Wechsel von dunklen Nadel- und hellen Laubbäumen vorbeispielt (alles andere wäre fatal), kann man kaum glauben, dass die ursprünglich fast kahle Fläche einmal wirklich ihrem Namen gerecht wurde. Durchgehende Cart-Wege, eine Bewässerungsanlage mit eigener Pumpstation und personalintensive Pflege schaffen dazu einen Rasenteppich, der selbst an heißen Sommertagen makellos bleibt. Mit etwas Understatement nennt der Club die Anlage "eine der schönsten in Hessen". Meiner Meinung nach kann man getrost den Superlativ setzen.
Startzeit erforderlich
Der Plan für eine Runde an einem 30+x-Grad-heißen-Tag im Juni 2017: 5 Uhr aufstehen, 7 Uhr spielen. "Yes", sagt der freundliche junge Mann am Telefon, als ich weisungsgemäß vor dem Spiel anrufe, "of course" gehe 7 Uhr und "no", um diese frühe Stunde benötige man keine Startzeit, aber zum Bezahlen unbedingt eine Kreditkarte. Die Anfahrt ist problemlos. Es gibt zwar noch einen mit Zaun und martialischen "Draußen bleiben – sonst tot!"-Schildern geschützten ehemaligen Schieß-Übungsplatz rechts der Straße, aber nach dem Abzug des US-Militärs ist kein Schlagbaum in Sicht und die Zufahrt zum Parkplatz frei. Der ist trotz der frühen Stunde schon genutzt und das Clubhaus geöffnet. Bei der Anmeldung reagiert der altgediente Pro entsetzt: "Of course, Madam", bräuchte ich eine Startzeit. Wann ich denn angerufen hätte? 15:30 Uhr am Vortag? Einhellige Meinung der Anwesenden: Das war Dennis – und dem scheint späteres Ungemach sicher. Ich allerdings darf (ausnahmsweise) trotzdem spielen – "have fun!"
American way of golf
Ich weiß nicht genau, wie mitten in Hessen das Gefühl entstehen kann, irgendwo zwischen Virginia und Georgia zu golfen. Einmal sind es die Elemente des Platzes: Alles wirkt weitläufig. Aber obwohl die Bahnen angenehm breit sind, ist der Verlauf manchmal knifflig, die besten Landezonen auf Fairway und Grün müssen ausgetestet und genau angespielt werden. Bei scharfen Doglegs ragt der Wald weit in die Spielfläche, und wer dorthin verzieht, kommt selten beglückt wieder heraus. Bleibt man jedoch auf der Bahn, unterstützt das Gelände häufig die langen Schläge, man kommt trotz der Höhenunterschiede gut voran und verliert wenig bis keine Bälle, das macht Spaß. Ebenso amerikanisch: Große Grüns bieten viel Anspiel-, aber die umfangreichen Bunker rundum auch viel Auffangfläche. Für gute Putts sollte man die bewegten Oberflächen rund um die Fahne genau lesen. Gelingt das, rollt der Ball völlig unbehindert von Pitchmarken wie auf Schienen ins Loch.
Auch über den sportlichen Anspruch hinaus ist der Platz durchdacht möbliert: Abschlagtafeln, Wegweiser, Toiletten, Blitzschutzhütten, Wasserspender – alles ist auf die Sicherheit und Bequemlichkeit der Golfer ausgerichtet. Ich fühle mich einerseits sportlich durchaus gefordert, andererseits wohl gelitten und gut aufgehoben. Dazu tragen ebenfalls die Menschen bei, denen ich begegne. Obwohl schnell gespielt wird, bleibt man freundlich und gelassen. Die Golfer, viele von ihnen an Haltung und Haarschnitt unschwer als (ehemalige) Soldaten zu erkennen, achten auf einander, grüßen und lassen wie selbstverständlich durchspielen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Die meisten lächeln. Der frische Morgen, der gepflegte Platz, nette Mitspieler und der ein oder andere gute Schlag – beste Voraussetzungen für das, was amerikanisches Golf so besonders macht: Kein Stress, "have fun!" Und die am frühen Freitagmorgen zahlreich aufgefahrenen Greenkeeper bugsieren selbst schwere Mäher flott beiseite, wenn ich zum Schlag in ihre Richtung ansetze – obwohl ihre Position durch meine Längen noch völlig ungefährdet ist. Aber immerhin, ihr Vertrauen spornt an. Geduldig (und ebenfalls lächelnd) warten sie, bis der Abschlag getan und das Grün erreicht ist, die Fahne wieder im Loch steckt. Trifft man einen von ihnen über die Runde mehrfach, ist man also nach amerikanischen Maßstäben bereits miteinander bekannt, gibt es auch schon mal einen sachverständigen Kommentar.
Wirklich alles perfekt? Weil allzuviel Lob die Golfgötter verärgern könnte, was in diesem Fall besonders schade wäre, doch noch eine kleine kritische Anmerkung zum Schluss: Beim nachründlichen Milchkaffe zum Raststätten-Preis muss der Automat einen richtig schlechten Tag erwischt haben. Obwohl … ist das nicht auch typisch amerikanisch?
Selbstversuch
Unter US-Golftouristen wird der Platz als Top-Destination in Deutschland gehandelt. Bei uns sind Platz und Club, vielleicht bedingt durch die militärische Vergangenheit, über Wiesbadens Grenzen hinaus ein echter Geheimtipp.