
Von der Rolle
Seit ein paar Wochen bin ich gefühlsmäßig völlig von der Rolle. Die Pandemie ist da und nichts ist mehr, wie es war. Während viele von uns nun brav zu Hause auf dem Sofa sitzen und dank Home-Office und Home-Schooling kräftig schwitzen, haben andere nichts Besseres zu tun, als durch die Gegend zu flitzen und zu hamstern.
Deutschland ist im Jagen-und-Sammel-Modus, lebenswichtige Geschäfte wie Bau- und Supermärkte sind ja immerhin noch geöffnet und versprechen kurzweilige Abwechslung in Stay-at-home-Zeiten. Supermärkte stehen besonders hoch im Kurs: Doch nicht etwa Gesundes oder Wohltuendes wie Schokolade wird da in Mengen eingekauft, nein, ein bislang völlig verkanntes Gebrauchsgut ist das Begehr und sogar Anlass für Prügeleien und Plozeieinsätze: das Klopapier. Haben jetzt alle plötzlich einen an der (Pop-)Klatsche? Was ist da los?
Jedes Land reagiert anders auf die Krise: Anderswo werden vermehrt Medikamente, Zigaretten und Wein gekauft, bei uns eben Klopapier. Mehrlagig, strukturiert, bedruckt, lieblich duftend, extra soft, recycle- und gut stapelbar, in Weiß, Pink oder Natur, auf jeden Fall perfekt zum Bunkern, günstig und nie ein Fehlkauf – die Klopapierhersteller geben sich ja auch wirklich Mühe, das Beste aus ihrem Wegwerfprodukt herauszuholen. Doch das allein erklärt noch nicht die Jagd nach dem Hygieneartikel. Laut Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels stieg die Nachfrage nach Klopapier im März dieses Jahres im Vergleich zum Vormonat um 700 Prozent. Warum nur? Mir zumindest ging das Popopapier bislang am Allerwertesten vorbei.
Immer der Herde hinterher
Ich will es wissen. Die Internet-Suchmaschine liefert mir in 0,38 Sekunden über 18 Millionen Einträge zum Stichwort „Klopapier“. In einem verrät mir der Psychologie-Professor Jürgen Margraf von der Ruhr-Universität, dass Massenpanik der Grund für den Klopapierhype sei. Irgendwann rennt irgendwer in eine Richtung – in diesem Fall zum Klopapierregal – und dann rennen alle hinterher, so der Experte. Aha, es hätte also auch das Sektregal sein können. So rein theoretisch! Doch nicht nur der simple Herdentrieb verursacht leergekaufte Klopapierregale, auch der Wunsch nach Sicherheit und der Drang, etwas für sich und seine Familie zu tun, seien Gründe, so Steven Taylor, Professor für Psychiatrie der Universität British Columbia in Kanada. Dass das Gehirn dabei manchmal auf der Strecke bleibt, kann vorkommen: Erst kürzlich musste die Polizei im oberbergischen Bergneustadt eine renitente Kundin Mitte 50 in Handschellen zum Streifenwagen tragen, da sie sich aus Protest gegen die Nur-eine-Packung-pro-Kunde-Politik aufs Kassenband gesetzt hatte und nicht weichen wollte.
Klopapier ist überall …
… nur momentan oft nicht mehr im Regal. Die sozialen Medien überschlagen sich vor Klopapiervideos, -songs, -fitnesstipps und -sprüchen. Sogar Trickgolfer nehmen sich des Themas an und Profi-Golfspieler balancieren unter dem Hashtag #GolfToiletRollChallenge Klopapier auf dem Golfschläger. Zudem lese ich von Klopapierrechnern, mit denen man ausrechnen kann, wie lange der Vorrat reicht, sowie von mehreren Bäckern, die, wie zum Beispiel in Zittau, neuerdings in Klopapier machen: Sie verkaufen einen Kuchen, der von der Form her einer Klopapierrolle entspricht und umhüllt mit weißem Fondant auch so aussieht. Ein Mega-Kassenschlager! Ich versüße mir also künftig die Sitzung mit Klopapierkuchen? Immerhin eine belustigende Option in dieser trüben Zeit. Die Ideen rund um Corona sind ebenso mannigfaltig wie kreativ. Sogar der Golfsport hat die Zeichen der Zeit erkannt.
The winner takes it all
Trotz Corona findet die Kaktus Tour, eine Minitourserie der LPGA, in Arizona/USA statt, nur in Zweier-Flights und mit gebührendem Abstand. Der Ball rollt also doch noch – diese Tatsache allein tröstet meine vom Entzug geplagte Golferseele und erfreut mich gleichzeitig ungemein, als ich von der besonderen Siegerprämie lese: Zu ihrem Erstaunen erhielt die US-Profigolferin Sarah Burham auf der drittklassigen Tour neben ihrem Siegerscheck tatsächlich ein paar Rollen Klopapier als Extraprämie überreicht! Gold ist also nicht nur alles, was glänzt, sondern auch das unsägliche WC-Helferlein. Ich bin sprachlos und mache mich auf …
Corona geht, die Achtung bleibt
Schnellen Schrittes eile ich in den Keller: Hurra, die drei Packungen des Papiergoldes sind noch da und es beruhigt ungemein, sie zur Hand zu nehmen. Eins wird Corona für immer verändern, das ist mir spätestens jetzt klar: Meine Achtung des schnöden Wegwerfprodukts! Und egal, was für beschissene Zeiten noch kommen: Wir werden sie aussitzen und keiner von uns wird jemals wieder ohne Toilettenpapier-Notration durchs Leben gehen. Wer es nicht selbst erlebt hat, wird die Notwendigkeit nicht sehen. Ich muss jetzt erstmal los – zum Einkaufen, versteht sich!